Manchmal hat man Glück und kann Hortensien unter 10 Euro kaufen, die meisten liegen aber weit darüber. „Ganz schön teuer“, sagt sich da mancher Pflanzenfreund. Damit ihr einschätzen könnt, ob der Preis gerechtfertigt ist, möchte ich euch heute vorstellen, welchen Aufwand es bedeutet, eine schöne Hortensie heranzuziehen.
450 Tage Pflege – Teil 1: Stecklinge
Die Geburt einer Hortensie im Gartenbau beginnt im Frühjahr oder Sommer. Dann werden von so genannten Mutterpflanzen Stecklinge geschnitten und im Gewächshaus bewurzelt. Dabei müssen von Hand die guten Triebe einzeln geschnitten, zwischengelagert und später in Erde gesteckt werden. Und weil wir da allein in Deutschland von einigen Millionen Hortensienstecklingen jedes Jahr sprechen, kann man sich vorstellen, dass da ein paar Leutchen ein paar Stündchen mit beschäftigt sind.
In den nächsten Wochen werden die Stecklinge im Treibhaus unter Folie bewurzelt. Und dabei natürlich immer wieder hervorgeholt, genau angeschaut, bei Bedarf gewässert, vor Schädlingen geschützt, wieder abgedeckt… In dieser ersten Phase ist jedes einzelne Hortensienbaby bereits um die zehnmal „angefasst“ worden.
Teil 2: Sechs Wochen Topfen
Im Mai, nach den Eisheiligen, werden die nun bewurzelten Jungpflanzen als nächstes in größere Töpfe getopft und auf die Felder gebracht. Das macht in der Regel aber nicht derselbe Betrieb, der auch die Mutterpflanzen hält und die Stecklinge bewurzelt. Weil die Arbeitsschritte sehr unterschiedlich sind, spezialisieren sich Betriebe auf das eine (Jungpflanzenproduktion) oder andere (Weiterkultur). Das gilt übrigens für viele Pflanzen, nicht nur für Hortensien. Mit anderen Worten: Die fertigen Jungpflanzen werden zunächst verpackt (Anfassen Nr. 11), per LKW transportiert, abgeladen (Anfassen 12) und zwischengelagert, bis sie beim Topfen an der Reihe sind.
Das Topfen muss zügig gehen, damit die Hortensien genug Zeit zum Wachsen haben. Dementsprechend viele Personen braucht dieser Arbeitsschritt. Als Beispiel: In einem Hortensienbetrieb am Niederrhein, der rund 1,2 Millionen Hortensien pro Jahr produziert, sind etwa 20 Mitarbeiter komplette sechs Wochen in Vollzeit beim Topfen in Aktion. Zwei große Topfmaschinen werden dafür aufgebaut. Ein Mitarbeiter bestückt sie mit Erde, einer pro Maschine muss für den Nachschub an Stecklingen und Töpfen sorgen. Ein bis zwei Personen stecken jede einzelne Pflanze von Hand in die neuen Töpfe. Zwei weitere Mitarbeiter stellen die Pflanzen vom Band in Paletten und die Paletten wiederum auf mehrstöckige Pflanzenkarren. Nun kommt der nächste Mitarbeiter, der schiebt die Karren weiter zum Gewächshausausgang. Dort sind zwei Mitarbeiter auf Traktoren dafür da, die Karren an die entsprechenden Plätze auf den Feldern zu fahren. Dort wiederum sind mehrere Trupps dann damit beschäftigt, die Paletten von den Karren zu holen und auf den Feldern abzustellen.
Haben Sie mitgezählt? Wir sind inzwischen bei 17 Mal „Anfassen“ jeder einzelnen Pflanze.
Teil 3: Feldarbeiten
Es wird Mitte Juni, bis alle Baby-Hortensien auf dem Feld angekommen sind. Nun geht es mit der Pflege weiter: Täglich sind die leitenden Angestellten unterwegs, um für die ausreichende Bewässerung zu sorgen. Es muss individuell gedüngt und die blauen Hortensien wollen gebläut werden. Andere Mitarbeiter zupfen wochenlang immer wieder Unkraut – wie gesagt, wir sprechen von Millionen von Töpfen da draußen!
Drei Mal werden die Hortensien auf dem Feld außerdem gestutzt. Mit einer Stutzmaschine geht es immerhin halbmaschinell. Aber viel muss auch noch von Hand nachgestutzt werden – mit Zeigefinger- und Daumennagel werden lange Triebe gekürzt, damit die Hortensien sich verzweigen, buschig werden und viele Blüten ansetzen. Das ist wahrlich Handarbeit. Haben die Hortensien eine bestimmte Größe erreicht, müssen sie noch „gerückt“ werden, also ein Stück weiter auseinandergestellt. Zunächst stellte man sie nämlich so eng wie möglich, damit beim Gießen nicht zu viel Wasser ungenutzt zwischen die Töpfe fällt.
Kurze Berechnung: Wenn man das Wässern und Düngen mal außer Acht lässt, wurde Jede Pflanze am Ende des Sommers bereits etwa 21 Mal „angefasst“.
Teil 4: Von wegen Winterschlaf
Ab Mitte September wird es Zeit, sich auf den Winter vorzubereiten. Damit die Hortensienblüten nicht durch Frost zerstört werden können (denn der Verkaufspreis später richtet sich nach der Zahl der Blüten), werden nun alle Hortensien wieder zurück nach drinnen geräumt. Wir spulen also quasi das Topfen rückwärts: Auf dem Feld wird jede Hortensie in eine Palette gestellt, in den Paletten auf Pflanzenkarren, die Karren werden mit dem Traktor in Kühl- oder Gewächshäuser gebracht und dort ordentlich aufgereiht. Summe des „Anfassens“ pro Pflanze: Wir sind bei 24 Mal.
Die Hortensien sind aber die einzigen, die sich während des Winters ausruhen können – die Gärtner haben weiterhin alle Hände voll zu tun. Die Hortensien müssen auch im Winter regelmäßig bei Bedarf gegossen und auf Pilzschäden hin beobachtet werden. Ist es notwendig, muss gegen Schädlinge behandelt werden. Außerdem werden die Hortensien ab November geputzt. Das heißt: Die Hortensien werden auf ihren Karren aus dem Lager geholt, einzeln von den Pflanzenkarren genommen und von den matschigen Blättern befreit, die ja jetzt abgefallen sind. Damit nichts schimmeln kann. Dann werden sie wieder auf die Karre gestellt und zurück ins Lager verbracht. Unser Zähler steigt auf 27.
Teil 5: Weiterverkauf
Schon ab November geht die Reise für viele Hortensien bereits weiter. Man nennt die blattfreien Pflanzen nun „Rohware“ und auch diese wird schon verkauft. Von Deutschland aus bis weit ins Ausland, bis Spanien hinunter und im Osten sogar bis Israel oder in die Arabischen Staaten. Denn dort lässt das Klima die Jungpflanzenproduktion nicht zu. Also heißt das für die Mitarbeiter: Karren aus der Kühlung holen, bestellte Anzahl der Pflanzen pro Sorte heraussuchen, auf Transportkarren passend zur Bestellung zusammenstellen, in Seecontainer oder auf LKW verladen. Wo stehen wir? – Ich bin bei 30 Mal Anfassen jeder Pflanze. Wer möchte, kann das mal mit den 1,2 Millionen multiplizieren, die ich als Beispiel für einen Hortensienbetrieb oben genannt hatte.
Teil 6: Zum Blühen bringen
Nun sind die Pflanzen also in einem weiteren Gartenbaubetrieb angekommen und werden dort zur blühenden Pflanze herangezogen. Die Handgriffe im Kurzdurchlauf: Abladen der Karren vom LKW, verfahren der Karren in die Treibhäuser oder aufs Feld, eventuell wird nochmals in größere Töpfe umgetopft, aufstellen der Pflanzen. Gießen, auf Schädlinge prüfen und wo nötig Gegenmaßnahmen durchführen. Nach rund zwölf Wochen blüht die Hortensie. Sie wird herangeholt, bei Zimmerhortensien werden Stäbe an den Trieben angebracht, damit sie nicht knicken beim Weitertransport – und jetzt endlich kann die Hortensie in den Verkaufsbereich gebracht und vom Kunden gekauft werden. Oft ist es auch ein vierter Betrieb, etwa ein Blumengeschäft, der die Pflanzen kauft und bei sich aufstellt.
Es ist inzwischen irgendwas zwischen März und August des folgenden Jahres und ich überschlage nochmal: Die ganze Produktion einer Hortensie in mittlerer Größe dauert etwa anderthalb Jahre. Bis zu drei verschiedene Gartenbaubetriebe und einem Verkaufsbetrieb sind daran beteiligt und jede Pflanze wird locker 40 Mal wortwörtlich gemeint „angefasst“, das tägliche Begutachten und Gießen gar nicht mal mitgezählt. Die größeren Hortensien, die im 15- oder gar 25-Liter-Kübel verkauft werden, sind sogar drei bis vier Jahre im Betrieb, werden also 120 bis 160 mal gehandhabt.
Jetzt ist es an Euch, zu entscheiden, ob eine Hortensie mit 20 Euro teuer ist oder nicht.
Viel Freude mit euren Pflanzen wünscht
Eure Hortensia