Das Rentnerehepaar Heinz und Else erlebt den ganz normalen Alltagswahnsinn mit ihren Nachbarn am Gartenzaun. Kurzgeschichten aus der Vorstadtsiedlung zum Lesen oder Überlesen. Episode 7.
„Hast du eigentlich noch Weihnachtsstimmung?“, fragte Else plötzlich. Heinz senkte völlig überrascht die Zeitung. Das Ehepaar saß in seiner kleinen Küche beim Frühstück. „Weihnachtsstimmung?“, fragte er verwirrt zurück und schaute um sich. Die Weihnachtsdekoration war natürlich längst in ihren Kartons verstaut, statt ihrer standen die Orchideen wieder auf dem Fensterbrett. Bei Janssens gegenüber hatten die Kinder die Fenster mit Ballons und Luftschlangen karnevalistisch geschmückt. Nur Schnee, den hatten sie dieses Jahr noch immer reichlich. „Ja, nein“, versuchte Else zu erklären. „Ich meine nicht das Drumrum, sondern diese Stimmung von Nähe und aneinander denken und helfen wollen und sowas. Ich finde, Weihnachten ist man doch immer so emotional und stellt fest, wie wichtig einem Familie oder Freunde sind. Was bleibt davon eigentlich nach gerade mal einem Monat noch? Und gerade jetzt, im Lockdown, wo alle Solidarität besonders brauchen können.“
Heinz faltete die Zeitung und legte sie neben seinen Teller, dachte nach. Er musste ihr Recht geben. Weihnachten war alles so gemütlich und man nahm sich viel vor in Sachen Nächstenliebe. Mehr aneinander denken, mehr miteinander sprechen, mehr Gutes für alle tun. Ein paar Wochen später, im eher nüchternen Februar, kam einem das schon wieder furchtbar kitschig vor. Was unendlich schade war. Wieso verlor man etwas so Wichtiges so schnell wieder aus dem Blick? „Ich weiß, was du meinst“, sagte Heinz also laut. „Aber ich habe keine Idee, wie man das verhindern könnte.“ Nach einem weiteren Schluck Kaffee stand Else plötzlich auf. „Vielleicht hiermit“, antwortete sie und zog einen kleinen Papierstern aus einer Schublade. Den hatten sie von ihrem Enkel geschenkt bekommen. Else heftete den Stern nun gut sichtbar an die Pinnwand in der Küche. „Immer, wenn wir den Stern sehen, soll er uns daran erinnern, was uns die Menschen um uns bedeuten und dass wir es ihnen vielleicht einfach mal wieder zeigen oder sagen sollten“, erklärt sie munter. Bisschen kitschig war das ja schon, wenn man das so aussprach, dachte Heinz. Aber im Grundsatz, da gab er ihr absolut recht. „Ich ruf mal grad meine Schwester an“, sagte er bestimmt, während er aufstand. Und beide lächelten.