Das Rentnerehepaar Heinz und Else erlebt den ganz normalen Alltagswahnsinn mit ihren Nachbarn am Gartenzaun. Kurzgeschichten aus der Vorstadtsiedlung zum Lesen oder Überlesen. Episode 4.
Der Wohnzimmertisch von Heinz und Else sah aus wie Kraut und Rüben. Aber das passte immerhin zum Thema: Die Gartenplanung für 2021 stand an. Immer im Januar kramte das Seniorenpaar voller Elan Papier und Stifte hervor, Lineal und Radiergummi, Pflanzkalender und Gartenskizze, holte die Samentütchen ans Licht und die Kataloge von Pflanzenanbietern und breitete alles säuberlich chaotisch neben- und übereinander vor sich auf dem Tisch aus. Es galt festzulegen, welche Gemüse in welche Beete sollten, welche Sommerblumen ausprobiert werden sollten und welche Samen abliefen und daher „weggesät“ werden mussten. Und diese ganze Planung wurde von den beiden geradezu zelebriert. Der Kaffee war gekocht, ein Teller Plätzchen parat gestellt, leise Musik spielte im Hintergrund. Und je ungemütlicher das Wetter draußen gerade war, desto schöner war es, in Gedanken schon im sommerlichen Garten zu stehen. Nur auf die Kerze verzichteten die beiden seit ein paar Jahren, nachdem ihnen mal der halbe Gartenplan abgefackelt war. Nun lag alles parat, auch die Grundskizze der „bespielbaren“ Flächen des Gartens hatte Heinz bereits am Computer aktualisiert und ausgedruckt. Das Spiel konnte beginnen. „Letztes Jahr hatten wir zu viel Kohl“, befand Else eifrig und Heinz nickte. „Dies Jahr lieber mehr Bohnen“, konstatierte er fröhlich und schraffierte munter eine Fläche auf dem Gartenplan dafür. „Stop“, rief aber Else motiviert dazwischen, „da müssen doch die Gurken hin, die kriegen sonst zu wenig Sonne.“ Heinz stutzte, griff dann zum Radierer und ersetzte das Wort „Bohnen“ durch „Gurken“. „Dann die Bohnen hier hin?“, fragte er seine Frau und tippte schwungvoll auf eine andere Stelle. „Ja, das passt“, war die bestens gelaunte Antwort. Möhren und Löwenmäulchen, Salat und Jungfer im Grünen fanden so nach und nach ihre Standorte, der Zeitplan für die verschiedenen Sätze der Aussaat wuchs zusammen, eine Einkaufsliste füllte sich mit den Namen von blumigen Neuzugängen und die Samentütchen wanderten nach Monaten sortiert in ihre Kiste zurück. Zwischen Kaffee und Kalender, Plätzchen und Plan gingen so fast drei Stunden ins Land. Am Ende waren Heinz und Else so voller Elan, dass sie glatt noch den Hausputz ruckzuck erledigten. Da war es total egal, dass im Laufe des Jahres vermutlich die Hälfte der ganzen Planung wieder über den Haufen geworfen werden würde. Weil beim Bummel durch das Gartencenter plötzlich ganz andere Pflanzen Elses Interesse weckten. Oder weil Heinz die Samen nicht aufgingen. Oder sie beide den passenden Zeitpunkt für die Nachsaat verpassten. Hier und jetzt, im trüben Januar, lag mit Plan und Tütchen die gesammelte Vorfreude auf ein hoffentlich gutes Gartenjahr auf dem Tisch. Und das machte einfach beste Laune.