Neulich am Gartenzaun – Vogelvolk

Das Rentnerehepaar Heinz und Else erlebt den ganz normalen Alltagswahnsinn mit ihren Nachbarn am Gartenzaun. Kurzgeschichten aus der Vorstadtsiedlung zum Lesen oder Überlesen. Episode 17.

Neulich am GartenzaunElse stand mit dem Fernglas im Anschlag am großen Wohnzimmerfenster und schaute Richtung Apfelbaum. Neben ihr stand Heinz, vor sich Block und Stift. „Kohlmeise“ hatte er gerade notiert und einen Strich dahinter gesetzt. Viel mehr stand auch noch nicht auf dem Zettel. Aber ihre „Stunde der Gartenvögel“ fing ja auch gerade erst an. Seit vielen Jahren machten Heinz und Else bei dieser Zählung mit, zu der der Naturschutzbund alljährlich aufrief. Es machte ihnen so viel Freude, beim Kaffeetrinken im Garten den Vogelstimmen zuzuhören oder beim Frühstück schon zu schauen, wer durch ihre kleine Grünanlage flatterte. Zur Not auch durchs Fenster, wenn es wie momentan mehr regnete als dass die Sonne schien. Auf jeden Fall wollten sie gerne auch bei der Zählung mithelfen, die für die Vogelkundler des Nabu wichtige Erkenntnisse über die Verbreitung der Arten lieferten. Allerdings hatten die zwei da ihr ganz eigenes System…

„Tante Frieda ist da!“, rief in diesem Moment Else und nahm das Fernglas herunter. Für Tante Frieda brauchte sie kein Vergrößerungsglas, die war nicht zu übersehen. Sie hatte sich soeben auf der Gartenliege niedergelassen und schaute nun kopfruckend in die Runde. ‚Stadttaube‘ notierte Heinz also brav und machte einen Strich hinter den Namen. Tante Frieda, das war ihr Spitzname für die behäbigen Tauben, von denen immer wieder mal zwei bis drei vorbeikamen. Weil die Tauben sie so sehr an besagte Tante aus den Donald-Duck-Trickfilmen erinnerten, die ihre Kinder früher immer geschaut hatten. „Und da sind Frieda Nummer zwei und drei“, verkündete Heinz mit einem Fingerzeig auf das Dach des Nachbarhauses und ergänzte seine Strichliste.

Ein paar Minuten passierte nicht viel. „Ha, drei Michel im Tannenbaum!“, rief Else dann. „Nein, vier.“ Sie hatte das Fernglas wieder angesetzt und die hohen Nadelbäume abgesucht, die bei den Nachbarn zur Rechten das Gartenende begrünten. „Ja, vier“, bestätigte sie nochmals. Heinz nahm den Stift zur Hand und notierte: ‚Sperling: I I I I“. Michel, lag doch wohl nah, die lärmenden Spatzen nach dem Frechdachs aus Astrid Lindgrens Büchern zu nennen.

In den verbleibenden 40 Minuten der „Stunde der Gartenvögel“ erspähten Else und Heinz noch einen weiteren Bully Herbig (ja, wie der Komiker, der diese „Topf-frisur“ im Film ‚(T)Raumschiff Surprise‘ trug), einen Herrn Görgens (so hieß der ehemalige Chef von Heinz,  stets korrekt gekleidet in schwarzem Anzug mit weißem Hemd), zwei Erwins (das war der Name von Elses jüngerem Bruder, der ein rotes Schlabberlätzchen trug, wenn sie ihn hatte füttern helfen), zwei Witwe Bolte (Witwen tragen ja bekanntlich schwarz) und zwei Herr Schlüpen (nach dem Deutschlehrer von Else benannt). Die „übersetzte“ Liste von Heinz sah nun also so aus: 2 Kohlmeisen, 3 Stadttauben, 4 Sperlinge, 1 Elster, 2 Rotkehlchen, 2 Schwarzdrosseln, 2 Buchfinken. Als Else nun die Schnur vom Fernglas aufwickelte und vom Fenster wegtrat, sagte sie abschließend mit einem Lachen: „Ist doch schön, wenn so viele Gäste zum Fest kommen.“

 

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