Das Rentnerehepaar Heinz und Else erlebt den ganz normalen Alltagswahnsinn mit ihren Nachbarn am Gartenzaun. Kurzgeschichten aus der Vorstadtsiedlung zum Lesen oder Überlesen. Episode 15.
„Huch!“, entfuhr es der Frau auf der anderen Seite seiner Hecke, als Heinz unvermutet aus der Hocke hochkam und auf den Bürgersteig schaute. „Oh, Entschuldigung“, antwortete Heinz mit einem freundlichen Lächeln. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Er war mitten im Unkrautjäten und musste kurz die Beine strecken. Die Frau, Heinz schätzte Sie auf Anfang 40, hatte offenbar auf dem Handy geschrieben und lächelte nun zurück. „Kein Problem, ich war nur gerade so in Gedanken.“ Sie hob erklärend ihr Handy. Dann legte sie den Kopf schief und sah ihn genauer an. „Nutzen Sie eigentlich Soziale Medien?“, fragte sie. Heinz stutze. „Verzeihung“, fuhr die junge Frau mit einer entschuldigenden Geste fort, „ich bin PR-Beraterin und frage mich immer, ob die Menschen die Sozialen Medien nun eigentlich mögen oder nicht. Ich selbst nutze sie ja beruflich, aber rege mich auch oft genug furchtbar über sie auf.“
Heinz fand sein Lächeln wieder und nickte. „Das kann ich gut verstehen“, entgegnete er. „Ja, ich nutze schon mal Facebook. Ich bin in zwei Gartengruppen und lese Beiträge von Zeitungen. In den Gartengruppen bin ich gerne und zu einigen Mitgliedern haben meine Frau und ich inzwischen sehr regen Kontakt, das ist sehr schön. Aber ich gebe Ihnen recht. Wenn ich so manche Kommentare lese, schüttele ich oft den Kopf und frage mich, warum ich mir das überhaupt antue.“ Die Frau hörte interessiert zu. „Darf ich fragen, worüber Sie da so den Kopf schütteln“, fuhr sie fort? Heinz überlegte. „Ich denke, am meisten rege ich mich über die Uninformiertheit so mancher Menschen auf. Wenn sie dann Dinge schreiben, die vorne und hinten nicht stimmen. Ich meine jetzt nicht, wenn mal Kleinigkeiten nicht richtig sind, jeder darf sich mal vertuen oder Wissenslücken haben. Ich meine diejenigen Personen, die so schrecklich von sich überzeugt sind und dann auf Richtigstellungen sogar noch pampig reagieren. Selbst, wenn es nur um die Bestimmung einer Wildblume geht, wird man von solchen Personen am Ende noch beschimpft.“ Wieder nickte die Frau, Verstehen lag in ihrem Blick.
Da kam Heinz eine Gegenfrage in den Sinn. „Da Sie da quasi Profi sind“, sagte er, „wie kann man denn Ihrer Meinung nach diese Missverständnisse und Streitereien vermeiden?“ Die Frau zog die Stirn kraus, lachte kurz zu einem Schulterzucken auf, und sagte dann: „Endgültig vermutlich nur, indem man die Medien nicht nutzt.“ Sie lächelte schief. „Aber sicher, es gibt natürlich schon ein paar Dinge, die man beachten kann und sollte“, sagte sie dann. „Sowohl, wenn man etwas schreibt, als auch, wenn man etwas liest. Gerade das zweite wird oft vergessen. Wir missverstehen oft Beiträge, weil wir Dinge hineininterpretieren, die der Schreiber gar nicht meinte. Und dafür sehen wir andere Dinge nicht, die eigentlich gemeint waren. Das passiert furchtbar schnell, denn oft kommen uns unsere eigenen Emotionen dazwischen.“ Die Frau machte eine kurze Denkpause. „Sehen sie, wir verstehen Geschriebenes, indem wir die Inhalte mit unseren Erfahrungen abgleichen. Und immer kommen dabei auch Gefühle ins Spiel. Nehmen wir ein Beispiel. Wir ärgern uns etwa seit Jahren darüber, dass unser Nachbar seine Thuja so hoch wachsen lässt, dass wir auf unserer Terrasse keine Sonne mehr abbekommen. Da ist ein richtiger Nachbarschaftsstreit draus geworden. Und nun schreibt jemand in der Gartengruppe, er wolle eine Thujahecke als Sichtschutz zum Nachbarn pflanzen. Sofort kommt unsere Wut mit hoch und wir denken nur noch: Mist Thujen! Und das schreiben wir dann womöglich auch: „Mist Thujen, die gehören verboten!“ Eigentlich wollen wir womöglich bloß einen Nachbarschaftsstreit dort verhindern, wir meinen es nicht böse. Aber das weiß das Gegenüber ja nicht. Und der denkt jetzt: Was ist das für einer, will mir hier in meinem eigenen Garten was verbieten. Und antwortet etwas wie: „Wie militant sind Sie denn, ich lasse mir nichts verbieten.“ Und schon können sich zwei Menschen nicht leiden und streiten, obwohl sie das beide gar nicht wollten. Das ist jetzt nur ein nicht ganz ausgefeiltes Beispiel, aber ich denke sie sehen, was ich sagen will.“ Heinz nickte. „Und was tue ich dagegen?“
Die Frau wechselte ihr Standbein und erklärte dann: „Indem man sich diesen Mechanismus klar macht. Und vor einer Antwort gut überlegt, warum man auf eine Mitteilung womöglich verärgert reagiert. Man sollte sich fragen: Steckt das wirklich da drin, oder interpretiere ich das grade nur rein. Im Zweifel kann man nachfragen, wie etwas gemeint war. Ansonsten sollte man ganz sachlich bei dem bleiben, was da eben steht. Im Thuja-Beispiel kann man sein eigenen Erfahrungen zunächst beschreiben und damit klar machen, warum man von Thujen abrät. Man muss versuchen, nicht so in die Emotionsfalle zu geraten.“
„Es gibt aber auch genug Beiträge, da kann man sich einfach nur drüber aufregen“, widersprach Heinz. „Wenn jemand pöbelt oder Falsches weiterträgt.“ Die Frau nickte erneut. „Natürlich. Das hat dann nichts mehr mit Missverständnissen zu tun. Aber auch in diesen Fällen kann man den Leuten am besten mit Sachlichkeit gegenübertreten. Wenn man überhaupt antworten möchte. Man muss die Emotionalität rausbekommen, sonst kommen die Botschaften sowieso nicht korrekt im Hirn an. Und es schont die eigenen Nerven.“
Das Handy der Frau klingelte. Sie schaute darauf, dann etwas erschrocken zu Heinz hoch. „Du liebe Güte“, sagte sie nun eilig, „so spät schon, ich muss los. Danke für das Gespräch.“ Und mit einem Winken war sie weg. „Danke ebenfalls“, rief Heinz noch hinterher, bevor er sich wieder dem Unkraut widmete und über das Gespräch nachdachte. Mehr Sachlichkeit, gab er der Frau recht, die täte wohl tatsächlich in vielen Situationen Gutes.